Koordinatorin des Projekts „NOMAD“

Dr. Ing. Madalina Rabung

Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren IZFP
NOMAD
48 Months

Duration

1,06 Mio

Funding Saarland

4,88 Mio

Total funding

10

Number of partners

Description

Trotz des Atomausstiegs Deutschlands bis zum Jahr 2022 bleibt die Kernenergie für die Energiegewinnung in Europa insgesamt auch in Zukunft von großer Bedeutung. 183 Kernreaktoren werden aktuell in Europa, 131 davon in der EU betrieben. Mehr als 60% davon sind inzwischen über 30 Jahre alt. Diese Kapazität kann aufgrund der langen Genehmigungs- und Bauzeiten nicht sofort vollständig durch neue Kernreaktoren ersetzt werden. Um dieser Situation entgegenzuwirken, wurde der langfristige Betrieb bestehender Kernkraftwerke (KKW) als vielversprechender Weg zur Erreichung der Zwischenziele für die Dekarbonisierung im Rahmen der Energiewende bis 2050 identifiziert und ist in einer Vielzahl von Ländern mit etablierten Nuklearprogrammen üblich. Um angesichts weiterer Laufzeitverlängerungen die Sicherheit dieser Reaktoren gewährleisten und zuverlässige Aussagen über deren Lebensdauer machen zu können, bedarf es moderner Prüfverfahren und Technologiesysteme. In dem EU-Projekt „NOMAD“ entwickeln insgesamt zehn europäische Partnerinstitutionen unter der Leitung des in Saarbrücken ansässigen Fraunhofer-Instituts für Zerstörungsfreie Prüfverfahren (IZFP) neuartige Methoden zur Charakterisierung und Quantifizierung von Materialschädigungen in Reaktordruckbehältern. Der Reaktordruckbehälter schützt die Außenwelt vor radioaktiven Strahlen: Im Innern des Behälters befinden sich die Brennelemente, deren radioaktive Strahlung langfristig zu einer Versprödung der Behälterwand führen kann. Neue nicht-invasive Prüfmethoden zur Charakterisierung von Materialeigenschaften können somit einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Sicherheit von Kernkraftwerken leisten.

Interview

„Das Besondere an Verbundforschungsprojekten ist, dass hier verschiedene Expertisen zusammenkommen. Wir versammeln in NOMAD tatsächlich alle Kompetenzen, die man für die Bewältigung einer so hochkomplexen Aufgabe benötigt.“

Madalina Rabung koordiniert am Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren IZFP seit Juni 2017 das von der EU mit knapp 5 Mio. Euro geförderte Verbundforschungsprojekt NOMAD. Wir haben uns mit der promovierten Ingenieurin zu einem Gespräch über aktuelle Forschungsfragen, Projektinhalte und die Zusammenarbeit in einem internationalen Forscherteam getroffen.

Frau Rabung, können Sie uns Ihr Forschungsinteresse kurz umreißen?
Mein Forschungsinteresse gilt der Entwicklung von Methoden zur zerstörungsfreien Materialcharakterisierung. Das ist auch einer der Schwerpunkte der Forschungsaktivitäten hier am Fraunhofer-Institut für Zerstörungsfreie Prüfverfahren (IZFP). Hier am Fraunhofer IZFP entwickeln wir Methoden und Verfahren für die zerstörungsfreie Prüfung sowie die dazugehörigen Systeme und zwar entlang des gesamten Produktlebenszyklus: von der Materialentwicklung über Halbzeuge und Produkte bis hin zum Monitoring von Strukturen und Materialrecycling. Dazu brauchen wir neben dem Verständnis der Sensorphysik auch Materialverständnis. Das ist mein Forschungsgebiet, mich fasziniert daher besonders, was in den Werkstoffen, in den Strukturen während ihres Lebens passiert und wie man dies zerstörungsfrei sichtbar machen kann.

Was sind „brennende“ Fragen, mit denen sich Wissenschaftler in Ihrer Disziplin derzeit beschäftigen?
Die zerstörungsfreie Prüfung war schon immer wichtig für die Qualitätssicherung von Produkten ganz verschiedener Anwendungsbereiche und für die Zustandsüberwachung von Strukturen. Bei uns steht momentan die Entwicklung von intelligenten Sensorsystemen im Fokus – das ist die Zukunftsvision. Intelligente Sensorsysteme sind Systeme, die gezielt eine Materialeigenschaft detektieren und diese dann signalisieren. Dafür kombinieren wir das, was wir bisher schon angewendet haben – sprich das Materialverständnis und das Verständnis über die Sensorphysik – mit Konzepten der künstlichen Intelligenz.

Seit Juni 2017 koordinieren Sie das von der EU geförderte Verbundforschungsprojekt „NOMAD“. Worum geht es in dem Projekt?
NOMAD ist ein Projekt im Bereich der Reaktorsicherheit. Grundlegend geht es dabei um die Entwicklung eines Tools, das die Versprödung (d.h. Materialschäden) der Reaktordruckbehälterwand charakterisieren soll. Dabei werden unterschiedliche zerstörungsfreie Prüfverfahren entwickelt, getestet und kombiniert, um ein möglichst breites Spektrum an Informationen aus den Werkstoffen zu erhalten. Hierfür haben wir sechs verschiedene Methoden optimiert: drei mikromagnetische Methoden, zwei elektrische und eine ultraschallbasierte Methode. Die Kombination aller dieser Informationen hat einen signifikanteren Mehrwert, als wenn man nur mit einer Methode den Werkstoff charakterisiert. In Zukunft wollen wir ein Technologiesystem entwickeln, mit dem man den Zustand des Reaktordruckbehälters quantifizieren und so zuverlässige Informationen erhalten kann. Aber das ist noch ein langer Weg, wir stehen gerade erst am Anfang.

Was ist das „Neuartige“ an NOMAD?
Bisher gibt es zur Überprüfung der Werkstoffveränderungen im Reaktordruckbehälter Überwachungsprogramme, die auf Proben basieren, welche aus dem gleichen Material hergestellt wurden wie der Reaktordruckbehälter. Diese Proben können erstens nicht immer für den gesamten Reaktordruckbehälter (RDB) repräsentativ sein und zweitens sind sie, vor allem unter Berücksichtigung der Lebensdauerverlängerung, nicht mehr in so großen Mengen vorhanden. Das war die Motivation, aus der heraus das Projekt NOMAD entstanden ist.

Einer der neuen Aspekte des Projektes ist, dass die mit dem sogenannten NOMAD-Tool angestrebte Prüfung eine große Herausforderung darstellt. Zum einen soll es die Charakterisierung der Versprödung an Proben der Überwachungsprogramme ermöglichen, zum anderen soll es in der Lage sein den Versprödungszustand des RDB zu quantifizieren und diesen mit dem Zustand der Proben aus den Überwachungsprogrammen zu vergleichen. Der Reaktordruckbehälter ist auf der Innenseite mit einer austenitischen Plattierung geschützt. Unter dieser Plattierung liegt das Grundmaterial, dessen Zustand überwacht werden muss. Der Reaktordruckbehälter besteht aus zwei verschiedenen Werkstoffen, nämlich aus Austenit und einem ferritisch-perlitischen Stahl sowie aus einer Zwischenschicht. Wir müssen also durch diese austenitische Plattierung hindurch prüfen. Mit den magnetischen Methoden ist die austenitische Plattierung gar nicht erfassbar, denn die Voraussetzung für die magnetische Materialcharakterisierung ist ein ferromagnetisches Materialverhalten des zu prüfenden Bauteils. Das ist so wie im täglichen Leben, wenn man ein magnetisches Material unter einem dicken Papier magnetisch anziehen will, braucht man einen stärkeren Magneten als wenn das Papier nicht dazwischen wäre. Die anderen Methoden erfassen sowohl die austenitische Plattierung als auch das Grundmaterial und müssen die Signale entsprechend trennen. Wir müssen also unsere Messparameter und unser System so auslegen, dass wir an das Material rankommen.

Ein anderer neuer Aspekt ist die Datenfusion aus verschiedenen Methoden, die zusammen verschiedene Materialeigenschaften darstellen (ähnlich wie verschiedene Merkmale einen Menschen charakterisieren können: Haarfarbe, Größe, Geschlecht, Gewicht usw.) und somit das Material umfangreich charakterisieren. Hierzu kommen verschiedene Algorithmen der Künstlichen Intelligenz zum Einsatz, um die Daten sinnvoll zu kombinieren.

Ein anderer neuer sehr wichtiger Aspekt ist die Probenauswahl und die gezielte Bestrahlung, die so ausgewählt wurde, dass sowohl der Materialaufbau als auch die Materialschädigung der realen Situation sehr gut ähnelt. Außerdem wurden Proben speziell für NOMAD hergestellt, so dass sie vor der Bestrahlung untersucht werden konnten. Das heißt, wir kennen ihren Ausgangszustand und können somit einen „Vorher-Nachher“-Vergleich durchführen.

Wo steht NOMAD aktuell? Welche Meilensteine haben Sie bereits erreicht? Was sind die nächsten Schritte?
Wir haben zunächst mit der Analyse von kleinen sogenannten „Charpy Proben“ angefangen. Insgesamt wurden ca. 200 Proben aus sechs verschiedenen Reaktordruckbehälterstählen untersucht. Diese Messungen, die an dem bestrahlten Material durchgeführt werden, werden in speziellen Laboren gemacht, den sogenannten „hot cells“ oder „hot laboratories“. Es wurde gezeigt, dass sich die Versprödung mittels zerstörungsfreier Prüfung (zfP) an Charpy Proben gut charakterisieren lässt.

Um nun den Übergang zu dem Reaktordruckbehälter zu schaffen, arbeiten wir aktuell mit größeren Proben mit und ohne Plattierung. Derartige Proben wurden noch nie zuvor bestrahlt. Das war eine riesige Herausforderung, die unser belgischer Partner letztlich gemeistert hat. Proben oder Material lassen sich nämlich nicht „einfach so“ bestrahlen. Im Vorfeld müssen alle Parameter genau bestimmt und verschiedene Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden. Das Ganze wurde dann im belgischen Forschungsreaktor BR2 durchgeführt. Ein wichtiges Zwischenergebnis ist also, dass uns jetzt geeignete Proben vorliegen, die unter Berücksichtigung bestimmter Parameter bestrahlt wurden und dadurch einen bestimmten Versprödungszustand aufweisen. Ein weiterer wichtiger Meilenstein ist, dass wir zeigen konnten, dass die angewendeten Methoden durch die Plattierung prüfen können.

Außerdem wurde basierend auf den Daten, die anhand der Charpy Proben erhalten wurden, eine Datenbank erstellt, die das NOMAD-Tool „einspeisen“ wird. Die Datenfusion stellt ein eigenes Arbeitspaket in NOMAD dar, wodurch alle Daten so kombiniert werden, dass die Versprödung des Materials charakterisiert werden kann. Erste Versuche, diese Daten mittels verschiedenen Algorithmen der KI zu fusionieren, wurden bereits durchgeführt. Dabei sollen Modelfunktionen erstellt werden, um die Versprödung zerstörungsfrei zu charakterisieren.

Parallel laufen Arbeiten zur Validierung dieses Tools. Dies beinhaltet verschiedene Aspekte, wie z.B. Parameter, welche die zfP beinträchtigen können, herausfinden und ihren Einfluss quantifizieren oder Messgenauigkeit der einzelnen zfP-Methoden bestimmen sowie die Eignung der ausgewählten Proben und Bestrahlungsparameter überprüfen.

Aktuell stehen wir vor der nächsten Messkampagne, die an bestrahlten plattierten Proben stattfinden wird. Ähnlich wie ein Teil der Charpy Proben kann man an diesen Proben einen „Vorher-Nachher“-Vergleich durchführen. Nachdem das geschehen ist, werden die Daten in einer weiteren Datenbank gespeichert und mittels verschiedener Algorithmen der KI verarbeitet.

Was ist das Besondere an der Zusammenarbeit mit anderen Institutionen im Rahmen eines europäischen Verbundforschungsprojekts?
Das Besondere ist, dass verschiedene Expertisen zusammenkommen. In NOMAD sind wir insgesamt neun wissenschaftliche Projektpartner mit unterschiedlichem Expertenwissen. Wir haben beispielsweise Partner mit ausgewiesenen Kenntnissen in der Herstellung, Bestrahlung und mikrostrukturellen Charakterisierung von Proben. Bei anderen Partnern liegt der Fokus auf der Entwicklung zerstörungsfreier Prüfmethoden zur Materialcharakterisierung und Anwendung verschiedenen Algorithmen der KI zur Modellbildung, während wieder andere sich mit der Implementierung und Qualifizierung dieser Prüfverfahren in der Praxis auskennen. Wir versammeln in NOMAD tatsächlich alle Kompetenzen, die man für die Bewältigung einer so hochkomplexen Aufgabe benötigt.

Wie ist Ihre Einschätzung, wie und wann werden die von „NOMAD“ entwickelten Methoden ihren Weg in die Praxis finden?
Wenn das NOMAD-Tool zukünftig eingesetzt werden soll, muss es für alle Werkstoffe, die bei dem Bau von Reaktoren verwendet werden, validiert und qualifiziert werden. In NOMAD wurden Charpy Proben aus sechs Reaktordruckbehälterstählen untersucht, aber nur ein Werkstoff wurde auch als plattiertes Material untersucht und für die Qualifizierung und Validierung des Tools verwendet. Falls die Ergebnisse dieses Projektes vielversprechend sind, sprich die Qualifizierung und Validierung des Tools gelingt, kann man Schritt für Schritt dieses Tool für die restlichen RDB-Stähle erweitern. Nachdem das Tool unter Laborbedingungen entwickelt und getestet worden ist, muss es für die reale Testumgebung validiert und qualifiziert werden. Diese Vorgehensweise ist essenziell. Es ist daher zum jetzigen Zeitpunkt schwer abzuschätzen, wann die Forschung auch in der Praxis angewandt werden kann.

Non-destructive Evaluation (NDE) System for the Inspection of Operation-Induced Material Degradation in Nuclear Power Plants

Contact
Dr. Ing. Madalina Rabung
+ 49 681 9302 3882
Madalina.Rabung@izfp.fraunhofer.de
Zur Person

In Ploiesti in Rumänien geboren, studierte Madalina Rabung von 1994 bis 1999 Werkstoffwissenschaften an der Universität “Politehnica” in Bukarest mit der Fachrichtung „Werkstoffwissenschaft und Grundlagen der Metallkunde“. Das Thema ihrer Diplomarbeit lautete: „Bestimmung der mechanischen Eigenschaften von Al-Matrix-Verbundwerkstoffen verstärkt mit SiC-Teilchen ummantelt mit verschiedene Metalloxiden“. Nachdem sie Ende 1999 für einige Monate bereits Gastwissenschaftlerin am Fraunhofer IZFP war, begann sie im Rahmen einer Drittmittelpromotion im Februar 2000 ihr Promotionsstudium (Dr. Ing.) an der Universität des Saarlandes, das sie am Fraunhofer IZFP durchführte. Nach erfolgreichem Abschluss ihrer Doktorarbeit zum Thema „Mikromagnetischer Nachweis der Werkstoffalterung infolge von kohärenten Kupferausscheidungen“ blieb sie am Fraunhofer IZFP und ist dort Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der Materialcharakterisierung.

Publikationen
ORCID ID: https://orcid.org/0000-0003-3995-5093

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